Bundesverband Wassersportwirtschaft



Erste Gewitterwolken ziehen auf


20. September 2022 | Da dachte man Anfang des Jahres, man käme nach zwei verrückten Pandemiejahren mal zurück in ein etwas ruhigeres und vor allem wieder berechenbareres Fahrwasser, setzt der Ukraine-Konflikt den zurück liegenden zwei dynamischen Jahren nun noch „die Krone“ auf. Erst ruft Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ aus. Dann folgt, mit leichter Verzögerung, die Aussage des Präsidenten des BDI Siegfried Russwurm „In der deutschen Industrie brennt es lichterloh“ und Robert Habeck, seines Zeichens Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, setzt den vorläufigen Schlusspunkt und schaltet den Notfallplan „Gas“ scharf. Es ist Krieg, mitten in Europa.

Dass der Leitzins nach einer gefühlt ewigen Niedrigzinsphase angehoben wird und Kredite teurer machen, parallel die Inflation ein selten bis nie dagewesenes Hoch erreicht, verkommt da schon fast zur Randnotiz. Als sei das alles in der aktuellen Situation aber noch nicht genug an „Bad News“ für die Branche, entscheiden sich die Mitglieder des europäischen Parlaments für ein „Verbrenner-Verbot“ ab 2035. Welche Auswirkungen dies für den Wassersport haben wird, steht noch in den Sternen und wird sicher zu gegebener Zeit an dieser Stelle separat behandelt werden. Noch ist es ja auch nicht durch, die Mitgliedsländer müssen dem erst noch zustimmen. Dennoch: Wahrschau halten ist angesagt, die aktuelle Stimmung ist durchwachsen mit einer leicht negativen Tendenz. 

Aber warum eigentlich durchwachsen? Bei den ganzen schlechten Neuigkeiten müsste es doch schon heute dramatisch aussehen, tut es aber nicht, zumindest – noch - nicht. 

Grundsätzlich ist es aktuell schon eine kuriose Situation. Auf der einen Seite sind die Auftragsbücher voll wie lange nicht mehr und Wartezeiten zwischen Bestellung und Auslieferung von Booten bewegt sich auf einem Allzeithoch, auf der anderen Seite kommen die Hersteller gar nicht mit der Produktion hinterher. Es fehlt an allem. Hat die Pandemie die Weltmarktsituation von Warenströmen schon stark negativ beeinflusst, hat der letzte Lockdown in China (mehrere hundert Containerschiffe warteten zeitweise auf die Abfertigung in Shanghai) und nun der Ukraine-Krieg viele Lieferketten komplett zum Einsturz gebracht. 

Fehlten letztes Jahr um diese Zeit vor allem Motoren in allen Klassen, fehlt nun neuerdings eigentlich alles, was man zum Boote bauen benötigt. Ob Klampen, Scheiben, Beschläge, Elektrobauteile, Heizungen, die Liste kann man gefühlt unendlich weiterschreiben. Das Gute daran, es werden neue Lieferanten gesucht und mitunter auch gefunden, das Angebot wird diversifiziert. Ob allerdings die Qualität immer mithalten kann, wird sich erst noch zeigen müssen.

Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer

Die gute Nachricht: Aktuell stehen kaum Boote rum, fast alles Verfügbare wurde bereits verkauft und wartet auf die Auslieferung. 

Die schlechte Nachricht: Die Nachfrage beim Branchenprimus, dem Einsteigersegment bei Motorbooten, bricht aktuell landauf landab stark ein. Dies ist der allgemeinen Verunsicherung, insbesondere der jungen Familien geschuldet, die aktuell nicht wissen, ob sie die Heizkosten und die allgemeine Inflation im kommenden Winter noch stemmen können. Interessant dabei ist, dass die Nachfrage nach Bootsführerscheinen nach wie vor hoch ist. Ganze 76 Prozent der Wassersport-Ausbildungsbetriebe bewerten die aktuelle Nachfrage nach Bootsführerscheinen mindestens auf dem starken Vorjahresniveau (40 Prozent), 36 Prozent bewerten die Nachfrage sogar besser als im Vorjahr. Wir sehen also auf der einen Seite Interesse am Bootssport, auf der anderen Seite eine Konsumzurückhaltung, wie sie auch in anderen Bereichen feststellbar ist. Dies lässt einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft offen, sollte sich die Lage irgendwann entspannen. 

In den größeren „Bootsklassen“ sieht die Lage hingegen etwas positiver aus. Hier ist nach wie vor eine gute, solide Nachfrage zu verzeichnen. In dem Segment spielt es offenbar keine Rolle, ob die Yacht 500 000 oder 580 000 Euro kostet, auch der gestiegene Preis für Kraftstoff spielt hier offenbar eher eine untergeordnete Rolle. Insgesamt wird die Lage von den Unternehmen mit rund 65 Prozent besser oder zumindest auf Vorjahresniveau eingeschätzt. 

Ähnliche Tendenzen weist auch die Nachfrage nach Segelbooten aus. Je größer die Yachten werden, desto größer scheint die aktuelle Nachfrage zu sein. So kommt die größte Klasse ab 12 Meter ebenfalls auf eine mindestens neutrale (39 Prozent) oder positive Bewertung (22 Prozent). 

Dass ausgerechnet die Servicebetriebe aktuell einen richtigen Aufwind haben, verwundert nicht. Sind Neu-Boote aktuell seit 2 Jahren Mangelware, helfen sich viele mit Gebrauchtbooten über die Zeit. Hier besteht häufig ein Investitionsstau, sodass der Refit-Bereich aktuell wahrhaftig boomt. Ganze 42 Prozent der Betriebe haben aktuell eine bessere Geschäftslage als 2021, weitere 38 Prozent befinden sich mindestens auf Vorjahresniveau. Es könnte noch mehr abgearbeitet werden, hätte man mehr qualifiziertes Personal, das altbekannte Problem. 

Bei den Sportboothäfen gibt es in Summe kaum Veränderungen, aber wo sollen die auch herkommen. Voll ist bekanntlich voll, und so sieht es aktuell landauf landab überall aus. Liegeplätze sind nur noch in abgelegenen Gebieten verfügbar, an der Ostsee und im Berliner Raum hofft man, dass es sich in der Hauptsaison irgendwie täglich auf ein neues „einruckelt“ und die Yachten nicht bis in die Hafeneinfahrt im Päckchen liegen. 

Bei der Vercharterung von Haus- und Segelbooten stellt sich nach zwei Jahren endlich wieder so etwas wie Normalität ein. Die Flotten in Deutschland sind „normal“ gut gebucht, im Mittelmeerraum sind sie zu großen Teilen bereits ausgebucht bis zum Saisonende. Die Menschen, so sieht man es täglich, wollen nach zwei Jahren Urlaub in Deutschland auch gerne mal wieder einen Urlaub mit „Sonnengarantie“, verständlicherweise. Interessant wird zu sehen sein, wie sich die massiven Flugstreichungen noch im Kurzfristgeschäft der Vercharterer auswirken werden. 

Einer der Gewinner der aktuellen Situation sind offensichtlich auch die Kanuanbieter, die von einer deutlich früher gestarteten Saison als in den letzten beiden Pandemiejahren zu profitieren scheinen. Auch Schulklassen, Sportvereine und andere Gruppen, die mehr oder weniger zwei Jahre komplett ausblieben, finden immer öfter den Weg zurück zu den Stationen. Insgesamt geben knapp 40 Prozent der Betriebe ein besseres Jahr 2022 als 2021 an, weitere 50 Prozent bewerten das Geschäft zumindest auf Vorjahresniveau. Ein gutes Zeichen. 

Zuletzt kommen wir nun zum „Sorgenkind“ der vergangenen zwei Jahre, dem Tauchsportbereich. Dessen Erfolg ist traditionell sehr stark gekoppelt an den Mittelstrecken- und Fernreisebereich, der zwei harte Jahre hinter sich hat. Zum Teil konnten Ausfälle mit Tauchequipment für den Kaltwasserbereich kompensiert werden, aber auch da scheint der Bedarf allmählich gedeckt. Aufgrund des anziehenden Tourismus kann man von einer verhalten positiven Tendenz sprechen. 37 Prozent der Unternehmen bewerten ihre Situation besser als im Vorjahr, weitere 50 Prozent sehen sich auf Vorjahresniveau. Dennoch - gerade hier gibt es noch viel Luft nach oben und die Flugstreichungen führen sicher nicht zu einem sprunghaften Anstieg der wichtigen Auslandsreisen. Der Tauchsportbereich hat also auch 2022 leider mit vielen – nicht hausgemachten – Problemen zu kämpfen. 

Ein weiteres Kuriosum lässt sich beobachten: Zwar sind die Verkaufspreise in den letzten Monaten rasant gestiegen, doch scheint das die Margen der Händler am Ende zu drücken. Nachdem im Vorjahr 58 Prozent mit der Gewinnsituation zufrieden waren, sind es aktuell nur noch 44 Prozent. Als Gründe für die Lücke werden in erster Linie die Nebenkosten, die Einkaufspreise und die Steuern gemacht. Höhere Personalkosten sind ausnahmsweise mal nicht die Treiber. 

Auf die Investitionsbereitschaft und die Personalplanung hat die aktuelle Situation bisher offenbar dennoch keinen Einfluss. 

Zusammenfassend über alle Bereiche kann man festhalten, dass nach wie vor knapp 40 Prozent der BVWW Unternehmen die aktuelle Geschäftslage besser bewerten als im Vergleichszeitraum 2021. Dennoch ist ein Rückgang der Euphorie zu verzeichnen, die vielen weltweiten Ereignisse trüben die Stimmung ein. 

Nach Allzeithoch (Dezember 2021) folgt Tiefdruckstimmung 

Nachdem das Konjunkturbarometer der Branche im Dezember noch auf einem Allzeithoch lag, befinden wir uns aktuell in Tiefdruckstimmung. Dies ist angesichts der aktuellen Lage alles andere als verwunderlich. Auch der Gründe bedarf es keine weiteren Analysen, ein Blick in die Tageszeitungen reicht völlig aus, um einen Gesamteindruck der Situation zu bekommen. Sämtliche Wirtschafts-/Konjunkturprognosen werden im Wochenrhythmus nach unten korrigiert, nicht nur national, sondern international. Was das auch zur Folge für die deutsche Industrie und die Exportlandschaft haben wird, ist absehbar. Der Konsum bricht aktuell schon ein, Kredite für Unternehmen werden teurer und verhindern Investitionen. Der Weg aus dieser Negativ-Spirale wird sicher länger werden, durchhalten und „auf Sicht fahren“ ist das Gebot der Stunde.

 

Pressekontakt:

Bundesverband Wassersportwirtschaft e.V.

Karsten Stahlhut

mailto: stahlhut@bvww.org

Phone: +49 221 – 59 57 10

Günther-Plüschow-Straße 8, 50829 Köln

 



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